Ehemaliger Flughafen Gütersloh – Zivile Nutzung statt Remilitarisierung! Nr. 19

Seit Mai 2023 gibt es Hinweise, dass der ehemalige Flughafen Gütersloh erneut militärisch genutzt werden soll. Laut lokaler Medien prüft das US-Militär angesichts des Krieges in der Ukraine, neue militärische Kapazitäten in der Region aufzubauen. Ab Oktober 2023 erhalten Sie hier Einschätzungen, Hintergründe und aktuelle Nachrichten zu den weiteren Entwicklungen.

04.03.2024

Keine Landeerlaubnis für die US Air Force – Landebahn des ehemaligen Flughafens Gütersloh

Am 26.02.2024 befasste sich wie angekündigt der Kreisausschuss Gütersloh mit den Bürgereingaben der Initiative für eine friedliche Nutzung des Flughafengeländes Gütersloh. Forderung war, dass sich die lokale Politik gegen eine Remilitarisierung des ehemaligen Flughafen-Geländes und für eine Fortsetzung des Konversionsprozesses ausspräche. Presse und die Lokalzeit des WDR-Fernsehens (siehe Link-Liste) berichteten über das Anliegen der Initiative und das Ergebnis der Kreisausschuss-Sitzung: Alle im Kreisausschuss vertretenen Parteien lehnten die Forderung der Bürgerinnen und Bürger ab. 

Die einhellige Ablehnung des Antrages macht deutlich, wie sehr die von Verteidigungsminister Pistorius eingeforderte Kriegstüchtigkeit in den Köpfen der Menschen bereits angekommen ist. Friedenserhalt scheint über Parteigrenzen hinweg nur noch durch Hochrüstung und der Erweiterung militärischer Fähigkeiten erreichbar. „Völlig aus der Zeit gefallen“, bewertete CDU-Fraktionssprecherin Dr. Angelika Wensing das Anliegen der Bürger, u.a. Landwirte aus der unmittelbarer Nachbarschaft des Flugplatzgeländes, als „schlicht abstrus“ kanzelte CDU-Landrat Sven Georg Adenauer Inhalte der Bürgereingaben ab. Die Zeitenwende bedeutet, dass die aktuelle Losung lautet: Frieden schaffen durch immer mehr Waffen, durch Aufrüstung und Ausweitung militärischer Fähigkeiten.

Dass die Logik, durch das Vorhalten militärischer Ressourcen deren Einsatz zu verhindern, nicht zutreffend ist, dafür ist gerade der Flughafen Gütersloh Beispiel. In der Vergangenheit gab es seitens der dort stationierten britischen Streitkräfte unmittelbare Beteiligung an Kriegseinsätzen im Falkland-Krieg, im Balkan, im Irak und in Afghanistan, zum Teil Militäreinsätze, die mittlerweile als gescheitert gelten, verbunden mit dem Leiden vieler unbeteiligter Menschen. Gerade das amerikanische Militär, das Interesse an Gütersloh zeigt, gilt als die aktivste Streitmacht der Erde. In zahlreichen Regionen der Welt werden immer wieder Militäreinsätze durchgeführt, zum Teil unter sehr fragwürdigen völkerrechtlichen Legitimationen.

Protest vor dem Kreisausschuss in Gütersloh – alle vertretenen Parteien stimmen für eine Remilitarisierung des Geländes – Foto: Initiative für eine friedliche Nutzung des Flughafen Gütersloh.

Akzeptanz; als unausweichliche Realität annehmen; ein ungutes Gefühl haben; dagegen sein; Protest auf die Straße bringen –  das Spektrum, wie die Bevölkerung mit der Neubewertung des Militärischen im Zuge der Zeitenwende umgeht, ist breit. In den Medien gilt allerdings, dass sich Meinungsäußerungen, die in den aktuellen Konflikten in der Ukraine und den Nahen Osten für Wege zum Frieden, Waffenstillstand und Verhandlungslösungen werben, sich mittlerweile fast nur noch in Leserbrief-Rubriken oder in Chats finden. Ihnen weht dann oft ein eisiger Wind entgegen:  Menschen, die in diesen Tagen für Frieden eintreten, werden immer öfter entweder als Antisemiten oder als Putin-Anhänger diffamiert.

Dabei hat das Eintreten für Frieden eine starke Tradition, die allerdings vorwiegend – das als alarmierendes Zeichen – fast ausschließlich von älteren und alten Bürgern und Bürgerinnen vertreten wird:

Da sind zunächst jene Menschen, die den 2. Weltkrieg noch unmittelbar miterlebt haben. Mittlerweile sind die meisten hochbetagt:  Menschen, die zum Kriegsbeginn 1939 geboren wurden, werden in diesem Jahr 85 Jahre alt. Sie haben den Krieg am eigenen Leibe erlebt, haben zum Beispiel als Soldaten selber an der Front gekämpft. Viele von ihnen in Russland. Viele haben ihr Leben lang unter den Folgen gelitten: An Verwundungen, an den  traumatischen Erlebnissen angstvoller Bombennächte in Luftschutzbunkern und dem Elend, das Zerstörung und Mangel in den vom Krieg zerstörten Ländern mit sich brachten. Sie eint, dass sie Krieg als verheerendes und entsetzliches persönliches Schicksal wahrgenommen haben.

Die Kinder- und Enkelgeneration bis zu den Babyboomern Mitte der 60er Jahre haben noch einen sehr starken Bezug zu den Kriegserlebnissen ihrer Eltern und Großeltern, entweder aus Erzählungen oder in deren Einstellungen zum Leben. Auch wenn sie keine unmittelbaren Kriegserlebnisse hatten, haben sie Krieg als wirkungsmächtiges Element ihres Lebens erlebt.

Einen Bezug zum Militär haben auch jene Jahrgänge, – zumindest die Männer -, die zum Wehrdienst einberufen wurden und – wenn Sie nicht Ersatzdienst geleistet haben – rund anderthalb Jahre Kasernierung, Ausbildung an Waffen, militärischen Drill und das System aus Befehl und Gehorsam kennengelernt haben. So positiv es war, dass aus diesen Jahrgängen niemand in Kriege hat ziehen müssen, so haben die Betroffenen doch eine Ahnung entwickelt, wie Kriegsführung funktioniert und in die persönliche Lebensgestaltung eingreifen kann.

Ende der 60er Jahre gaben die Proteste gegen den Vietnamkrieg, in dessen Verlauf über eine Million Vietnamesen und rund 60.000 amerikanische GI´s starben und amerikanische Bomber viele Millionen Liter Herbizide als Chemiewaffe, darunter Agent Orange, abwarfen, und die breite Flower-Power-Bewegung einen enormen Schub für den Traum einer friedlichen Welt. Die Proteste wurden zu einer breiten Bewegung. Im Juni 1967 feierte sich die friedensbewegte Blumenkinder-Generation beim ersten großen Popfestival im kalifornischen Monterey. 2 Jahre später fand das legendäre Woodstock-Festival statt – „3 days of peace & music“.

Die Proteste gegen den Vietnamkrieg schwappten hinüber nach Europa. Ein Jahrzehnt später, in den 80er Jahren erlebte der Pazifismus in Deutschland einen Höhepunkt in den Großdemonstrationen gegen die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II-Raketen durch die NATO und SS-20/21 – Atomraketen durch den Warschauer Pakt. Über vier Millionen Menschen unterzeichneten 1980–1983, mitten im Kalten Krieg, den Krefelder Appell gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstrecken-Atomwaffen in Europa. An einem einzigen Tag, am 22. Oktober 1983 demonstrierten in Bonn, Berlin, Hamburg sowie zwischen Stuttgart und Ulm insgesamt 1,3 Millionen Menschen für Frieden und gegen Hochrüstung.

Die Friedensbewegung führte unter anderem 1980 zur Gründung der Partei der Grünen, die sich in den ersten Jahrzehnten seit ihrer Grundung für Frieden und Verständigung eintraten.

Gegen Krieg und Gewalt gegen seines Nächsten zu sein, ist eine der wesentlichen Positionen christlichen Glaubens. „Schwerter zu Pflugscharen“ ist ein Teilzitat aus der Bibel, und drückt das Ziel des Völkerfriedens durch weltweite Abrüstung und Rüstungskonversion aus. Jesus Christus hat nach dem Neuen Testament das Gebot der Nächstenliebe (die ihrerseits Feindschaft und Hass überwinden soll) verkündet. Während sich die deutsche Amtskirche in den aktuellen Kriegen mit Friedensappellen zurückhält, erinnert Papst Franziskus II. immer wieder daran, nicht Böses mit Bösem zu vergelten, sondern sich an Jesu Wort an seine Jünger auszurichten: „Liebt eure Feinde“.

Gerade die Deutschen haben davon profitiert, dass eine Garde Politiker in Ost und West in den Achtziger Jahren auf Verständigung statt auf Konfrontation setzten. Das Ereignis, das naheliegender Weise als das positivste Erlebnis vieler Bürgerinnen und Bürge in Deutschland empfunden wurde, die deutsche Wiedervereinigung, kann als Paradebeispiel gelten, wie durch Verhandlungen und vertrauensvolles Aufeinander-zugehen auch zunächst aussichtslose erscheinende Konflikte gelöst werden können.

Neben den genannten Bewegungen und Ansätzen gibt es wissenschaftlich orientierte Organisationen oder Institutionen, die sich mit der Vermeidung von Kriegen, der Konfliktforschung und alternativer Formen der Konfliktaustragung wie dem Konzept des Sozialen Widerstands beschäftigen. Deren Vertreter und Vertreterinnen artikulieren sich vornehmlich in Fachgremien und sind oft nur einem Fachpublikum bekannt, liefern aber immer wieder wertvolle Beiträge für die Förderung von Frieden ohne Rüstungswahn und Militarismus.

Ist Pazifismus oder Antimilitarismus damit eine Bewegung, die dahinaltert und irgendwann verschwunden ist? Anschlussmöglichkeiten ergeben sich zu zwei höchst modernen und starken Bewegungen: Feminismus und Klimabewegung haben inhaltlich einen sehr starken Bezug zu Pazifismus und Antimilitarismus, auch wenn die Verknüpfung noch nicht praktisch ins Gewicht fällt.

Von Bertha von Suttner, Friedensaktivistin und erste Friedensnobelpreisträgerin im Jahr 1905 bis hin zu Alice Schwarzer, feministische Publizistin, Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma und Mitverfasserin des Manifest für Frieden, in dem im Februar 2023 vor einer Eskalation des Ukraine-Kriegs gewarnt wird, reicht eine lange Tradition feministischer Kritik an männlich geprägtem Militarismus und Kriegstreiberei.

Wie inhaltlich verwandt die Themen Anfang des 20. Jahrhunderts und heute sind, zeigt sich in der Dankesrede von Suttners vor dem Nobel-Komitee im Jahr 1905: „(…) im mittleren und westlichen Europa indessen kaum überstandene Kriegsgefahr, Misstrauen, Drohungen, Säbelgerassel, Presse-hetzen; fieberhaftes Flottenbauen und Rüsten überall; in England, Deutschland und Frankreich erscheinen Romane, in welchen der Zukunftsüberfall des Nachbars als ganz selbstverständlich Bevorstehendes geschildert wird mit der Absicht, dadurch zu noch heftigerem Rüsten anzuspornen; Festungen werden gebaut, Unterseeboote fabriziert, ganze Strecken unterminiert, kriegstüchtige Luftschiffe probiert, mit einem Eifer, als wäre das demnächstige Losschlagen die sicherste und wichtigste Angelegenheit der Staaten“. Bertha von Suttner starb im Juni 1914, kurze Zeit vor Ausbruch des 1. Weltkrieges. Ihre Befürchtungen zu der verheerenden Wirkung damals sich abzeichnender neuer Kriegstechnik, wie der Abwurf von Bomben aus Flugzeugen, sollten sich auf schreckliche Art bewahrheiten.

Das Thema „Krieg und Militär als Ausdruck patriarchaler Machtverhältnisse“ und einen Überblick über international agierende feministische Initiativen gegen Militär und Krieg sind im Blogpost Nr. 15 zu finden.

Ein neuer Impuls für die Förderung von Antimilitarismus und Pazifismus sollte sich auch aus der Klimabewegung entwickeln können. Militär und Rüstung erzeugen enorme CO2-Emissionen, angefangen von der Herstellung von Rüstungsgütern bis hin zu den Manövern mit Großgerätschaften zu Lande und in der Luft. Ein Militärjet verbraucht 3,5 t Kerosin pro Flugstunde. Ganz zu schweigen von den vielen Militär- und Kriegseinsätzen: Kriege sind menschliche wie auch unter Klima-Aspekten betrachtet Katastrophen unermesslichen Ausmaßes. Die Zerstörung von Infrastruktur, Wohn- und Industriegebäuden, Straßen, Brücken erzeugen in der Gegenwart wie Zukunft  vermeidbare Klimabelastungen. Mit 100 Milliarden Euro, die jetzt allein in Deutschland in Granaten, Panzer, Jagdflugzeuge gesteckt werden, könnte bei der notwendigen Entcarbonisierung einer entwickelten Industriegesellschaft wesentliche Fortschritte erzielt werden.

Die Propagandaschlachten hüben wie drüben führen dazu, dass Gräben immer tiefer werden, der Weg zu Verhandlungslösungen immer weiter wird. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Staaten, nicht zwischen den Völkern, nicht zwischen jungen Menschen dies- und jenseits von Staatengrenzen sondern zwischen jenen, die Krieg befördern und gar von ihm profitieren und jenen, die sich mit Respekt begegnen, Verständnis füreinander aufbringen, die das Wagnis eingehen und die Kunst beherrschen, friedvoll Konflikte zu lösen und NEIN zu Militarismus und Anwendung von Waffengewalt sagen. 

In Verbindung mit einer Remilitarisierung des ehemaligen Flughafens Gütersloh bleibt die Forderung: 1 Promille von militärischen Aufwendungen für gewaltfreie, nicht militärische Konfliktbearbeitung und – heute mehr denn je – keine Remilitarisierung des Areals in Gütersloh!

Die Initiative für Büros für Gewaltfreie Konfliktbearbeitung befindet sich in ihrer Startphase. Zunächst ist eine virtuelle Präsenz des Büros geplant. Sollte es zu einer Remilitarisierung des Flughafens Gütersloh kommen, steht die Forderung nach 1 Promille der Investitions- und laufenden Kosten einer Airbase Gütersloh für den Betrieb eines „echten“ Büros zur Förderung von gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Raum. Die Initiative ist ausdrücklich pazifistisch und anti-militaristisch ausgerichtet und dabei überparteilich und unabhängig von anderen Organisationen.

Aufgabe der Büros für gewaltfreie Konfliktbearbeitung soll die breit angelegte Erarbeitung von Friedenslösungen durch Akteure und Akteurinnen der Zivilgesellschaft sein. Eine Lobby gegen militärische Gewalt und für eine Kultur des Friedens und der Versöhnung.

Quellen / Links:

Facebook-Seite der Initiative für eine friedliche Nutzung des Flugplatzgeländes Gütersloh

Wie geht es weiter mit dem Flugplatz Gütersloh? – Lokalzeit OWL – Sendungen A-Z – Video – Mediathek – WDR

Netzwerk Friedenskooperative | Network of the German Peace Movement

Stand: 01.03.2024

Nächster Blogpost am 18.03.2024

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